Schlagwort: Historische Küche

Zu den Quellen

Vor dem Kochen kommt die Recherche. Da wir bereits seit fast 20 Jahren hist. kochen, hat sich eine Menge Material angesammelt. Durch unsere Entscheidung, uns nur noch auf das Kochen zu konzentrieren, lohnt es sich, diese Quellen näher zu betrachten, bevor wir ans Feuer bzw. in die moderne Küche gehen. In einem ersten Schritt möchten wir die vorhandene Literatur sichten und in einem zweiten Teil noch einmal die historischen Quellen nach Dr. Piñer und Professor Daniel Newman aufführen:

1. Bücher aus der Quellenkochkiste:

Hier haben wir unsere persönliche kleine hist. Kochbibliothek zusammengestellt, der Schwerpunkt wird auf sefardischer, andalusischer und arabischer Küche liegen:

Das römische Kochbuch des Apicius, Vollständige zweisprachige Ausgabe, 1991 / Aspicius ist der Inbegriff der römischen Kochbuch. Überlebt haben Ausgaben aus dem Mittelalter ab dem 10. Jhd. Inwiefern Apicius die frühmittelalterliche Küche mitgeprägt hat, wäre eine spannende Frage.

Die Regel des heiligen Benedikt, Ausgabe v. 1990 / Eine Quelle für die mittelalterliche (christliche) Ernährung ist die Benediktinerregel aus dem Frühmittelalter. Zwar betrifft es nur das mönchische Leben, aber viele Jahrhunderte waren Benediktinermönche prägend für das (früh-)mittelalterliche Christentum.

Die Quellenkochkiste

Georg Bossong : Die Sepharden : Geschichte und Kultur der spanischen Juden, 2008. / Eine kurze Abhandlung der Geschichte der Sefarden, die auch über die Zeit bis 1492 hinausgeht und die Migration und die Diaspora abhandelt.

Bessie Carr u. Phyllis Oberman: The Gourmet´s guide to Jewish Cooking, 1983. / Grundlagen der jüdischen Küche aus den Beständen der US-Army. Das Ursprungsbuch erschien aber bereits 1973 in London. Das Buch spiegelt auch eher die jüdische Küche im Schmelztiegel London wieder und nicht der USA. Für uns eine Referenz der jüdischen Küche am Ende des 20. Jhd. in Europa/USA.

Sam und Sam Clark, Simon Wheeler: Casa Moro : Spanische und orientalische Küche, 2004 / Gerichte aus einem Restaurant in den Alpujarras, Sierra Nevada. Hier fanden die letzten Mauren nach dem Fall von Granada Zuflucht, bis sie nach einem Aufstand endgültig vertrieben worden sind. Ein Kochbuch der maurischen und orientalischen Küche. Wir haben schon einiges daraus gekocht und werden es mit historischen Rezepten vergleichen.

Sarah Ifft Decker: Jewish Women in the medieval world : 500 – 1500 CE, 2022 / Hier geht es nicht ums Kochen, sondern um die Lebensumstände von jüdischen Frauen im Mittelalter. Aufgrund der Quellenlage sehr auf die iberische Halbinsel orientiert.

Doris Fischer: Kochen wie im Mittelalter : Geschichte, Zutaten, Rezepte, 2015 / Ein solider und liebevoller Führer für das historische Kochen z.B. für Anfängergruppen im Reenactment/Living History gut geeignet, allerdings mit einigen kleinen sachlichen Fehlern. Pluspunkt: Aufnahme von jüdischer Küche, sogar ein Sabathrezept (Schalet) ist enthalten.

Das Lorscher Arzneibuch : Klostermedizin in der Karolingerzeit, Ausgabe v. 2002 / Wie in bei den Arabischen Kochbüchern des Früh- u. Hochmittelalter steht auch der medizinische Charakter des Lorscher Arzneibuchs im Vordergrund. Hinweise auf Ernährung und verwendete Zutaten sind vorhanden. Da es keine frühmittelalterlichen Kochbücher gibt, sind das gute Hinweise.

Isidra Maranges: La cuina catalana, medieval, un festé per als sentits, 2. Aufl. 2016 / Das Buch haben wir in Barcelona gekauft, als wir dort noch eine Wohnung hatten. Maranges verwendet mehrere mittelalterliche catalanische Kochbücher, die seit dem Spätmittelalter existieren, übersetzt sie ins moderne catalanisch, kommentiert sie, erklärt den Context und stellt die Rezepte zu einem ganz eigenen mittelalterlichen Kochbuch zusammen.

Hélène Jawhara Piñer: Sephardi : Cooking the History. Recipes of the Jews of Spain and the Diaspora, from the 13th Century to Today, 2021 / Eine Neuerwerbung mit von Dr. Piñer ausprobierten sefardischen Rezepten aus hist. Kochbüchern. Wir sind schon sehr gespannt, einiges nachzukochen. Verraten sei schon, dass Piñer die Aubergine sehr liebt. Und es gibt auch einige Überraschungen, z. B. Mangold. Dazu bald mehr.

Hélène Jawhara Piñer: Jews, Food and Spain : The oldest medieval spanish cookbook and the sephardic culinary heritage, 2022 / Piñers Doktorarbeit und sozusagen die theoretischen Grundlagen vom Kochbuch „Sephardi“. Wir waren davon so begeistert, dass wir uns „Sephardi“ bestellt haben.

Jutta Radel: Zu Gast in Israel : Eine kulinarische Reise, 1986 / Haben wir gekauft, als wir bei unserem Freund Efraim Joel (Inzwischen verstorben) selbst in Israel zu Gast waren. Dient wieder zum Vergleich zu historischen sefardischen Rezepten.

Scents and Flavors : A Syrian Cookbook, Ed. by Charles Perry, arabisch-englisch, 2017 / Eine Quelle, die auch Dr. Piñer für Ihre Bücher benutzt hat. Wir haben das Buch schon seit dem Erscheinungstermin und wollten uns schon immer damit intensiver beschäftigen. Das syrische Kochbuch ist mit Ursprüngen im 10. Jhd. ist ebenso wie das andalusische Kochbuch, das Hélène Jawhara Piñer in ihrer Doktorarbeit analysiert, in großen Teilen im 13. Jhd. entstanden oder zusammengestellt worden.

Anne Schulz: Essen und Trinken im Mittelalter (1000 – 1300) : Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen, 2011 / Wer hist. kocht, kommt an Anne Schulz nicht vorbei. Ihre über 800 Seiten starke Analyse ist beeindruckend und ein Füllhorn an Informationen. Doch ihr Mittelalter ist das Mittelalter Mitteleuropas und läßt den Mittelmeerraum völlig unbeachtet.

Hans-Dieter Stoffler: Kräuter aus dem Klostergarten : Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche, 2002 / Was wäre das Kochen ohne Kräuter und Gewürze. Was gab es im christlichen Mitteleuropa und worin besteht der Unterschied zu Sefarad bez. Al Andalus? Ein schönes Hintergrundbuch für uns.

Liste wird bestimmt noch erweitert.

2. Historische Quellen nach Piñer/Newman:

vor dem 13. Jhd. sind arabische Kochbücher bekannt, aber leider nicht erhalten:

Kitāb al ṭabīkh, das andalusische Kochbuch des 13. Jahrhundert / von Piñer intensiv untersucht und sie hat einen jüdischen Autor vermutet.

Muḥammad Ibn al-Ḥasan Ibn Muḥammad Ibn Karīm al-Kātib al-Baghdādī: Kitāb al-ṭabīkh , Bagdad, 13 Jhd.

Anon., al-Wuṣla ilā ‘l-ḥabīb fī Waṣf al-ṭayyibāt wa ‘l-ṭīb (‘Reaching the Beloved through the Description of Delicious Foods and Flavourings), Syrien, 13. Jhd. / Vermutlich das von Charles Perry ins engl. übersetzte syrische Kochbuch.

Abū l-Ḥasan ʿAlī  Ibn Razīn al-Tujībī, Fuḍālat al-khiwān fī ṭayyibāt al-ṭaʿām wa ‘l-alwān (‘Delicacies of the Table as regards the Finest Foods and Dishes’), Al-Andalus, Maghreb, 13. Jhd. / Newman bezieht sich darauf, auch bei Piñer erwähnt.

Das catalanische Llibre de Sent Sovi, nach 1324 / Isidra Maranges benutzte viele Rezepte daraus.

Toledo, Synagoge

Kanz al-Fawā’id fī tanwīʿ al-Mawā’id (‘Treasure of Benefits in the Variety of Dishes’) , Ägypten, 13. Jhd.

Kitāb Waṣf al-aṭʿima al-muʿtāda (‘The Book of the Description of Familiar Foods’), Ägypten, 14. Jhd.

Lybre de Coch, frühes 16. Jhd. / ebenso catalanisch und viele Rezepte erscheinen in der cuina catalana von Isidra Maranges.

Juan Valles: Regalo de la vida Humana, 16. Jhd.

El Libro de cocina de la Infanta Doña Maria de Portugal, Mitte 16. Jhd. / Erstes Kochbuch auf portugiesisch. Hier tauchen auch lt. Dr. Piñer ältere maurische und jüdische Rezepte auf.

Libro del arte de cozina .. de Diego Granado Maldonado, 1599 / Gerichte wie „Bollo maimon“ spiegeln lt. Dr. Piñer auch Einfluss der sefardischen Küche wieder.

Libro del arte de cocina de Domingo Hernándes de Maceras, 1607

Recetas experimentadas para diversas cosas, 1620 / enthält wie in arabischen Kochbücher lt. Dr. Piñer auch kosmetische Vorbereitungen wie die Herstellung von Seife z.B.

Essen ist Erinnerung im LG e.V.

Von Essen und Erinnern

Beginnen wir mit einer Erinnerung. Immer wenn uns im Freilichtmuseum der Turmhügelburg Lütjenburg der dortige Vereinschef Hartmut Eller (+29. 01. 2021) antraf, so waren wir beim Essen oder am Kochen. Es gab deswegen so manche bissige Bemerkung von ihm, die nicht böse gemeint war, wie wir wussten. Aber es fiel schon auf.

Wir machen Reenactment und Historische Darstellung. Und dabei haben wir auch immer gekocht, d.h. wir haben historisch gekocht. Bei Veranstaltungen, die wir organisiert haben, wurde auch für ein ganzes Veranstaltungslager mit 160 Personen Essen zubereitet. Es gab Schaukochen und es gab kleine Gerichte für eine Handvoll Darsteller in einem kleinen norddeutschen Freilichtmuseum. Es gab Gerichte zu einem großen Heerlager. Es gab immer Gelegenheit, etwas zu kochen. Zum Dokumentieren, zum Recherchieren und Reflektieren kamen wir dagegen seltener.

Nach dem Schaukochen kam das Schauessen, ca. 2007/2008 auf einer Großveranstaltung.

Das Kochen (und das Essen) war also immer Teil unserer (mittelalterlichen) Darstellung. Die Frage „Essen Sie das wirklich“ wich mit der Zeit der Frage „Dürfen wir auch einmal probieren?“ Es sah also immer leckerer aus, was wir machten. Für die ottonische Darstellung haben wir sogar einst einen Vereinsküchenführer erstellt. Zu einer Aktualisierung sind wir nicht mehr gekommen.

Es kam die Coronazeit, das Alter, die Unlust durch die Gegend zu fahren und nörgelnde Vereinsmitglieder. Andere waren schon zuvor ausgestiegen und hatten sich auf ein anderes Hobby konzentriert z. B. Fotografieren. Auch rutscht die Mittelaterszene immer weiter in den Rechsextremismus ab. Bekannte Landesmuseen befördern sogar diesen Trend. So stellte ich mir kurz vor Weihnachten 2022 die Frage: Wollen wir das Mittelalterabenteuer beenden?

Im größten Frust erreichte mich ein Buch aus den USA von der Köchin und Historikerin Dr. Hélène Jawhara Piñer, die in dieser veröffentlichten Dissertation mit dem Titel „Jews, Food and Spain“ hauptsächlich das erste bekannte iberische Kochbuch auch bekannt als Kitāb al-Ṭabikh fī al-Maghrib wa al-Andalus fī ʽAṣr al-Muwaḥḥidīn, li-muʽallif majhūl untersucht (s.u.)

Am Ende ihres Buches steht der wundervolle Satz: „To eat is to remember“. Und damit war der Titel dieses Blogs geboren und der Titel eines Projektes bei dem wir in einer modernen Küche, in einem Holzbackofen und auf offenen Feuer etc. hist. Rezepte ausprobieren und dokumentieren werden. D.h. wir versuchen nicht mehr alles zu machen, das gesamte Alltagsleben abzubilden, sondern werden uns auf die Erinnerungsarbeit des Kochens (und Essens) konzentrieren und der Recherche dazu. Darauf freuen wir uns sehr. Wie die Ratte Rémy im Animationsfilm Ratatouille so eindrucksvoll bewiesen hat: „Jeder kann kochen!“

Das Team „Essen ist Erinnerung“ im Lebendige Geschichte e.V.

P.S.: Thx so much, dear Hélène Jawhara Piñer.

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