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Mangold-Liebe und Güezmo

„Ich liebe Mangold“, schreibt Hélène Jawhara Piñer in ihrem Kochbuch „Sephardi“. So wie der Köchin und Historikerin geht es uns auch. Wir lieben Mangold! Es ist wesentlich schmackhafter als Spinat und dadurch ein hervorragender Ersatz. Piñer schätzt auch die Mangoldblätter wg. ihrer dekorativen Funktion. In der mittelalterlichen Küche Arabiens wurde mit den Blättern gefärbt. Um diese vielseitig einsetzbare Pflanze soll es also bei dem ersten Kochgericht in diesem blog gehen:

Foto 1: Stielmangold, erst ab dem 16. Jahrhundert bekannt, für die hist. Küche (Mittelalter) nicht geeignet

Tatsächlich war uns das Gemüse vor wenigen Jahren noch vollkommen unbekannt. Es wurde auch sehr selten angebaut. Das hat sich inzwischen merklich verändert. Wir sind beileibe nicht die einzigen, die eine würzige Mangoldquiche zu schätzen wissen.

Mangold in der historischen Küche

Aber wir schaut es mit der hist. Küche aus? Hier interessiert uns besonders die Verwendung im Mittelalter. Im „Anfängerbuch“ von Doris Fischer, „Kochen wie im Mittelalter“ spielt Mangold keine Rolle, da die Autorin erst von einer Verwendung ab dem 16. Jahrhundert ausgeht. Das gilt aber nur für Stielmangold (Foto 1), Blattmangold (Foto 2 und 3) dagegen lt. Francke u.a. in „Die Früchte der Erde“, „noch in den Kräuterbüchern der Renaissance wird er [Mangold] für Mitteleuropa als gebräuchlichstes aller Kochgemüse bezeichnet.“ Zudem hat Anne Scholz archäologische Nachweise u.a. in ihrem Buch erwähnt: So gibt es Mangold auf den Fundplätzen Haus Meer (10. – 13. Jhd.) und Klein Freden (9. – 13. Jhd.) . Auch die ersten Niederschriften der herrschaftlichen Küche führen lt. Schulz Mangold sehr wohl auf.

Foto 2: Blattmangold (in der Mitte)

Schauen wir uns das südeuropäische Mittelalter an: In der catalanischen Küche des Spätmittelalters wurde Mangold nicht sehr geschätzt, schreibt Isidra Maranges in ihrer „Cuina Catalana“ und kann nur ein Gericht mit Mangold dokumentieren. Bei diesem werden ausschließlich die Stiele benutzt.

Foto 3: Blattmangold wächst in unserem Ufergarten auch noch im Winter, Febr. 2023

Ab in den Orient: Das syrische Kochbuch (13. Jhd.) führt insgesamt 25 Mangoldrezepte auf, davon 5 Nachtisch-rezepte oder für Süssspeisen, bei 6 Rezepten wird Essen mit Mangold gefärbt. Bei kalten Gerichten wird Mangold mit Joghurt und Knoblauch zubereitet. Bei einigen Rezepten werden nur die Stiele verwendet (s.o. Cuina Catalana). Besonders interessant fanden wir die verschiedenen Variationen eines „Bitterorangeneintopfs“, bei dem Mangold als Zutat verwendet wurde. Im Vergleich dazu weist das andalusisch-arabische Kochbuch Kitāb al ṭabīkh, von Piñer untersucht, nur 5 Mangoldrezepte auf.

Güezmo (Güesmo), ein Mangold-Rezept

Das historische Mangoldrezept, das wir gekocht haben, heißt Güezmo (Güesmo) und wird tradionell von der Sefarden (Juden von der iberischen Halbinsel) zu Tu Bishvat, dem jüdischen Neujahrsfest der Bäume, zubereitet. Der Talmud erwähnt Mangold als Heilmittel. So ist es nicht verwunderlich, dass ein Gemüse, dass bei Juden beliebt ist, in den spätmittelalterlichen Kochbüchern der Christen (siehe Cuina Catalana) kaum oder keine Erwähnung mehr findet. Lt. Piñer ist Mangold seit dem Mittelalter eine der Zutaten, die mit Juden bzw. später mit Conversos, zwangsbekehrten Juden, in Verbindung gebracht wird. Dies geht aus den Akten der spanischen Inquisition hervor. Ein Dokument aus dem 15. Jhd. aus Toledo beschreibt ein Gericht aus Mangold, Kreuzkümmel, Zwiebeln, Schwarzer Pfeffer, Kichererbsten, Faba-Bohnen, Auberginen und fettem Fleisch (Hammel oder Lamm), das über Nacht gekocht wird. Der Geruch dieses Gerichts nannte sich Güezmo (=Aroma). (Piñer, Sephardi, S. 35)

Foto 4: Güezmo, ein sefardisches Gericht aus dem 15. Jhd., Toledo, von uns nachgekocht.

Zutaten und Zubereitung

Das Rezept wurde von uns übersetzt und angepasst (Piñer, Sephardi, S. 34).

Zutaten:

Für das Güezmo:

1/8 Tasse (30g) Olivenöl

2 Knoblauchzehen, kleingehackt o. kleingeschnitten

2 Zwiebeln, sehr fein geschnitten

1/2 Teelöffel schwarzer Pfeffer

2 Teelöffel (Rohr-)zucker

200g Mangold

1/2 Teelöffel Salz

1/2 Teelöffel Cumin, gemahlener Kreuzkümmel

4 Teelöffel geriebener Käse, ggf. Feta

2 Teelöffel Piniennüsse, es können auch Walnüsse oder Haselnüsse verwendet werden

Für das Brot:

Ein Eßlöffel Olivenöl

1/4 Teelöffel Salz

1/2 halbe oder eine kleine Knoblauchzehe, gehackt oder sehr kleingeschnitten

4 dicke Scheiben Brot, bei kleinerem Brotlaib ggf. 6 oder mehr.

Zubereitung:

in der modernen Küche etwa 40 Min., eher kürzer. Es ist eher ein einfaches Gericht und kein Langstreckenessen. Es macht auch Spaß, es nach einem langen Arbeitstag zu zubereiten.

Mangold waschen. Piñer entfernt die Stiele. Das ist bei authentischen Blattmangold, den wir für das Gericht verwendet haben, nicht nötig. Mangold 6 Minuten in gesalzenen Wasser kochen. Mit kalten Wasser abschrecken und ausschütteln, um das Wasser vom Mangold zu entfernen.

Pfanne mit dem Öl erhitzen. Knoblauch, Zwiebel (wie oben vorbereitet) und schwarzen Pfeffer zugeben und etwa 5 Minuten braten, bis leicht gebräunt. Mit dem Rohrzucker bestreuen.

Inzwischen kann der Ofen auf 200 – 220° C vorgeheizt und das Brot vorbereitet werden: Olivenöl, Salz u. Knoblauch (s. Brotzutaten) in einer Schüssel oder Schale verrühren und die dicken Brotscheiben damit auf beiden Seiten bestreichen. Im vorgeheizten Ofen auf Backpapier legen und etwa 4-5 Minuten backen bis es knusprig aussieht.

Zurück zur Pfanne: Die Mangoldblätter in kleine Stücke schneiden, zusammen mit 1/2 Teelöffel Salz und 1/2 Teelöffel gemahlenen Kreuzkümmel mit den bereits vorhandenen Zutaten in der Pfanne verrühren und für 5 Minuten weiter braten. Ggf. etwas die Hitze reduzieren.

Foto 5: Güezmo in Blätterteig. Variation

Zurück zum Ofen: Brote aus dem Ofen nehmen, mit der fertigen Mischung aus der Pfanne belegen und mit Piniennüsse (wir haben Walnüsse genommen, ist auch lecker) und dem geriebenen Käse bestreuen. Auf diese Weise vorbereitete Brote kommen zurück in den Ofen und werden etwa 2 Minuten (Hitze wie oben) überbacken. Aufpassen, dass die Brote nicht verbrennen. Servieren. (s. Foto 4)

Wir haben noch eine zweite Variation ausprobiert und das Güezmo in Blätterteig gefüllt. Füllung genau wie oben in der Pfanne vorbeireiten, in Blätterteig hüllen und backen bis der Blätterteig wie auf Foto 5 etwa aussieht. Güezmo auf diese Art wird auch sehr lecker.

Foto 6

Das Rezept verdanken wir Hélène Jawhara Piñer und ihrem Buch (Sephardi: Cooking the History. Recipes of the Jews of Spain and the Diaspora, from the 13th Century to Today, CHERRY ORCHARD BOOKS, Februar 2022 – 174 Seiten, 9781644695319, 35 €), s. Foto 6. Guten Appetit!

Text und Fotos: Essen ist Erinnerung im LG e.V.

Verwendete Literatur

in der Reihenfolge der Verwendung/Erwähnung:

Hélène Jawhara Piñer: Sephardi : Cooking the History. Recipes of the Jews of Spain and the Diaspora, from the 13th Century to Today, 2021

Früchte der Erde, Francke u.a., 3. Aufl. , 1989

Doris Fischer: Kochen wie im Mittelalter : Geschichte, Zutaten, Rezepte, 2015

Anne Schulz: Essen und Trinken im Mittelalter (1000 – 1300) : Literarische, kunsthistorische und archäologische Quellen, 2011

Isidra Maranges: La cuina catalana, medieval, un festé per als sentits, 2. Aufl. 2016

Scents and Flavors : A Syrian Cookbook, Ed. by Charles Perry, arabisch-englisch, 2017

Kitāb al ṭabīkh, das andalusische Kochbuch des 13. Jahrhundert.

Der Talmud, Auswahl und Übers. Reinhold Mayer, 5. Aufl. 1963/1980

Von Essen und Erinnern

Beginnen wir mit einer Erinnerung. Immer wenn uns im Freilichtmuseum der Turmhügelburg Lütjenburg der dortige Vereinschef Hartmut Eller (+29. 01. 2021) antraf, so waren wir beim Essen oder am Kochen. Es gab deswegen so manche bissige Bemerkung von ihm, die nicht böse gemeint war, wie wir wussten. Aber es fiel schon auf.

Wir machen Reenactment und Historische Darstellung. Und dabei haben wir auch immer gekocht, d.h. wir haben historisch gekocht. Bei Veranstaltungen, die wir organisiert haben, wurde auch für ein ganzes Veranstaltungslager mit 160 Personen Essen zubereitet. Es gab Schaukochen und es gab kleine Gerichte für eine Handvoll Darsteller in einem kleinen norddeutschen Freilichtmuseum. Es gab Gerichte zu einem großen Heerlager. Es gab immer Gelegenheit, etwas zu kochen. Zum Dokumentieren, zum Recherchieren und Reflektieren kamen wir dagegen seltener.

Nach dem Schaukochen kam das Schauessen, ca. 2007/2008 auf einer Großveranstaltung.

Das Kochen (und das Essen) war also immer Teil unserer (mittelalterlichen) Darstellung. Die Frage „Essen Sie das wirklich“ wich mit der Zeit der Frage „Dürfen wir auch einmal probieren?“ Es sah also immer leckerer aus, was wir machten. Für die ottonische Darstellung haben wir sogar einst einen Vereinsküchenführer erstellt. Zu einer Aktualisierung sind wir nicht mehr gekommen.

Es kam die Coronazeit, das Alter, die Unlust durch die Gegend zu fahren und nörgelnde Vereinsmitglieder. Andere waren schon zuvor ausgestiegen und hatten sich auf ein anderes Hobby konzentriert z. B. Fotografieren. Auch rutscht die Mittelaterszene immer weiter in den Rechsextremismus ab. Bekannte Landesmuseen befördern sogar diesen Trend. So stellte ich mir kurz vor Weihnachten 2022 die Frage: Wollen wir das Mittelalterabenteuer beenden?

Im größten Frust erreichte mich ein Buch aus den USA von der Köchin und Historikerin Dr. Hélène Jawhara Piñer, die in dieser veröffentlichten Dissertation mit dem Titel „Jews, Food and Spain“ hauptsächlich das erste bekannte iberische Kochbuch auch bekannt als Kitāb al-Ṭabikh fī al-Maghrib wa al-Andalus fī ʽAṣr al-Muwaḥḥidīn, li-muʽallif majhūl untersucht (s.u.)

Am Ende ihres Buches steht der wundervolle Satz: „To eat is to remember“. Und damit war der Titel dieses Blogs geboren und der Titel eines Projektes bei dem wir in einer modernen Küche, in einem Holzbackofen und auf offenen Feuer etc. hist. Rezepte ausprobieren und dokumentieren werden. D.h. wir versuchen nicht mehr alles zu machen, das gesamte Alltagsleben abzubilden, sondern werden uns auf die Erinnerungsarbeit des Kochens (und Essens) konzentrieren und der Recherche dazu. Darauf freuen wir uns sehr. Wie die Ratte Rémy im Animationsfilm Ratatouille so eindrucksvoll bewiesen hat: „Jeder kann kochen!“

Das Team „Essen ist Erinnerung“ im Lebendige Geschichte e.V.

P.S.: Thx so much, dear Hélène Jawhara Piñer.

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